Christoph Röckelein: Durch Transformation zu einer neuen Haltung
Christoph Röckelein leitet das Freiburger Institut für Persönlichkeitsdidaktik. Als Executive Coach begleitet er außerdem Menschen in ihrer persönlichen Transformation. Ich spreche mit ihm darüber, warum das Thema Transformation uns gerade so stark beschäftigt und wo Change Management an seine Grenzen kommt. Und ich möchte wissen, wie er selbst Transformation in seinem Leben erlebt hat.
Hinweis: Ein weiteres Gespräch zwischen Christian Renz und Christoph Röckelein findet sich im Podcast des Freiburger Instituts für Persönlichkeitsdidaktik.
Gründer und Leiter des Freiburger Instituts für Persönlichkeitsdidaktik. Das ist schon mal ein langer Name. Herr Röckelein können Sie vielleicht kurz was dazu sagen: Was ist das für ein Institut? Womit beschäftigen Sie sich?
Ja, in diesem langen Titel sind viele Vokabeln drin, die man fast alle ein bisschen aufdröseln muss. Aber ich glaube, das Kernwort ist Persönlichkeitsdidaktik. Das ist eine Worterfindung, die an der Pädagogischen Hochschule Freiburg kreiert wurde, als ich da noch in der Forschung war und meine Promotion schon fertig hatte. Dabei geht es darum zu schauen: Was braucht es auf der Ebene der Persönlichkeitsentwicklung und im Kontext der Führungskräfteentwicklung noch neben dem Verhaltenstraining. Es ist eben nicht ein methodischer oder auch inhaltlicher Ansatz, sondern es ist die Persönlichkeit, die im Grunde erst etwas zur Wirkung kommen lässt.
Didaktik deswegen, weil es das Fach ist, das in der Pädagogik am meisten mit der Praxis verbunden ist. Die Didaktik versucht im klassischen Sinne die pädagogische Praxis zu begründen und fließt mit diesen Erfahrungen, die sie dann im Feld macht, wieder zurück in die Didaktik. Man spricht da von einem didaktischen Zirkel. Das ist ein Feld, das eigentlich in der Organisations- und Führungskräfteentwicklung kaum eine Rolle spielt. Methodik schon, das machen viele. Nur mein Ansatz ist immer ein didaktischer, das so ein kleines Faible von mir.
Da schwingt auch schon gleich Persönlichkeit mit. Dann beginne ich gleich mit einer persönlichen Einstiegsfrage: Wie ist das Thema Transformation zu Ihnen gekommen? Oder wie sind Sie zum Thema Transformation gekommen?
Also wenn ich aktuell anfange, dann würde ich sagen: Naja, man kommt ja heute kaum mehr um das Thema herum. Also hätte ich mich mehr oder weniger vor diesem Thema verstecken müssen. Aber gleichzeitig hat das Thema Transformation, vielleicht auch so unscharf wie es zuerst mal scheinen mag, vieles bei mir geweckt, vor allem auch Erinnerungen, die ich in meiner Biografie hatte. Ich hatte, bevor ich an der Pädagogischen Hochschule die Sozialwissenschaften abgeschlossen habe und dann auch promoviert habe, in Mainz Geisteswissenschaften studiert. Und da war bereits das Thema Transformation ein wichtiger Punkt in Form von Bewusstseinsbildung. So haben wir Transformation niemals zuerst in der sichtbaren, also überprüfbaren, Welt lokalisiert, sondern eigentlich in der unsichtbaren, eher in der subjektiven Ebene. Transformation als eine, hört sich vielleicht ein bisschen komisch an, Bewusstseinserweiterung, einen Sprung: Ich bin jemand anderes als vorher durch einen transformativen Prozess. Das zeigt sich natürlich dann in meinem Verhalten, das kann man wiederum dann auch untersuchen.
Was da so in einer Person vor sich geht, das hat mich schon immer interessiert. Also schon drei Jahrzehnte oder noch länger, wenn ich so zurückblicke. Zuerst einmal war ich geisteswissenschaftlich orientiert und dann bin ich ja viel stärker in die Organisations- und Führungskräfteentwicklung gekommen, habe dann auch noch das sozialwissenschaftliche Studium und die Promotion in dem Bereich gemacht. Es kam immer näher. Und so ist eigentlich auch mein Ansatz entstanden, dass ich mich eben nicht so sehr auf ein Verhaltenstraining oder ein Methodentraining fokussiere, sondern mich interessieren die inneren Prozesse. Und ich glaube, das ist bei Transformation ein wichtiger Punkt, der auch mir immer wieder begegnet ist. Zu sagen: Auch wenn ich mich im Außen irgendwie verändere, heißt das noch lange nicht, dass sich auch etwas in mir verändert. Ich bezeichne diese innere Dimension mit dem alten pädagogischen Begriff der Haltung. Es ist das Konzept der inneren Haltung. Zuerst mal nicht überprüfbar, nur im Verhalten.
Das war ja jetzt schon fast eine Definition von Transformation: Ein Vorgang oder ein Prozess, durch den man zu einer neuen inneren Haltung kommt. Jetzt gibt in der Wirtschaft natürlich auch andere Dimensionen von Transformation, insbesondere die Transformation hin zu mehr Rendite, die Transformation von Geschäftsmodellen. Das sind ja dann alles äußere Vorgänge. Wie passen diese zwei Vorgänge eigentlich zusammen? Zu einen die Transformation rein auf das Innerliche, die ja dann nur anhand der Wirkung sichtbar wird und die Transformation, die teilweise sehr, sehr hart und klar im wirtschaftlichen Kontext an Kennzahlen gemessen wird.
Ja, das überprüfe ich auch. Ich würde zuerst mal sagen: Da muss ich schauen, für was wird diese Etikette Transformation genutzt? Vor zehn Jahren war alles Change Management, es gab große Veränderungsinitiativen mit viel Literatur und viel Ausbildung. Und jetzt ist auf einmal alles Transformation. Und wenn ich da differenzierter drauf schaue, dann würde ich sagen: Vieles was heute Transformation heißt, war früher Change Management. Und für mich innerlich würde ich sagen ist es das auch immer noch. Ich definiere das nicht als Transformation, auch wenn es so gelabelt wird. Ist halt so! Für mich ist wichtig: wenn man eine andere Wirksamkeit erzielen will, andere Effekte erzielen will, da ist möglicherweise die Entwicklung eines neuen Produktes interessant oder eben Wertsteigerung, in dem man einfach versucht eine Wertschöpfung auszubauen. Dann kann man das durch die Verbesserung von einzelnen Schritten machen, an ein paar Stellschrauben. Man könnte sagen: Das ist ja auch ein schönes Lean Management, all die Programme kennen wir ja. Das würde ich im klassischen Sinne nicht unbedingt als Transformation bezeichnen, obwohl es im Moment natürlich so bezeichnet wird. Sondern ich schaue: geht im Grunde das Management noch mit dem gleichen Bewusstsein an den Prozess, wie es schon vor 15 Jahren herangegangen ist und malt im Grunde genommen nur ein bisschen über, setzt andere Facetten und kriegt natürlich Effekte.
Ich glaube, dass wir im Moment, auch in der Wirtschaft, in einer Situation sind, wo wir gefordert sind, tatsächlich unsere Denkgewohnheiten in Frage zu stellen. Das haben wir ja jetzt schon ein paar Jahrzehnte in dem Feld der Klimaforschung, wo wir merken: Oje, das ist ein komplexes Phänomen, das kriegen wir eigentlich mit unserer normalen Denkgewohnheiten gar nicht mehr hin. So und jetzt ist es viel näher, jetzt ist es in alle Subsysteme der Gesellschaft, natürlich auch ins Wirtschaftssystem hineingekommen. Und so sind wir jetzt auch da gefragt, unsere Denkgewohnheiten der Vergangenheit mal zu reflektieren, mir die überhaupt bewusst zu machen, um überhaupt mal zu schauen: Sind die eigentlich noch der Schlüssel für die Bewältigung der Aufgaben, die im Moment an uns herankommen? Wenn ich da zu dem Ergebnis komme: Ja, ich kann mit diesem Prozess noch eine Verbesserung erzielen, dann würde ich sagen, dann ist das für mich keine Transformation, sondern es ist ein schöner, geführter, reflektierter Change-Prozess, weil ich muss das Bewusstsein, mit dem ich diese Methoden, Ansätze und die Konzepte anwende – Ich muss mich nicht verändern und ich muss dann auch niemand anderen verändern. Ich nenne das ja immer, in der inneren Haltung. Da wird es vielleicht ein bisschen unbequem, dann kriegt man ja in dem Moment, wenn Geschäftsprozesse verschlankt werden, wieder aufgeteilt werden, reorganisiert werden, da passiert auch viel. Aber meistens ist es nicht unbedingt mit einer neuen Haltung verbunden. Das ist jetzt sehr pauschal, was ich sage, um es ein bisschen deutlicher zu machen. Ich glaube beide Prozesse fassen auch manchmal sehr eng ineinander, aber ich versuche es mal sehr plastisch und auch ein bisschen übertrieben darzustellen.
Gibts da noch zwei Ebenen? Das eine diese Transformation der persönlichen Haltung, das andere ein “Change Prozess” der Organisation, Methoden, Prozesse, entwickelt auf neue Ziele oder im Bezug auf eine Veränderung hin. Gibt es neben dieser persönlichen Haltung vielleicht auch so eine Art kollektive Haltung einer Organisation oder lässt sich das entwickeln?
Absolut, das ist ja unvermeidbar. Ich würde das mit der Vokabel Kultur bezeichnen. Das was die innere Haltung einer Person ist, ist für mich die Kultur einer Organisation. Die Kultur spiegelt im Grunde genommen nur die Gesinnung von vielen Einzelnen. Nun fang ich, das ist eben meine Expertise, bei der Person an. Weil ich weiß: eine Person ist im Grunde für mich immer der Schlüsselfaktor, wenn sie an bestimmten Positionen ist. Das sind Verantwortungsträger, sind Impulsgeber oder Führungskräfte, die auch dafür bezahlt werden, dass sie ein größeres Kollektiv in Bewegung setzen oder gestalten. Deswegen arbeite ich ja in meinem Bereich des Coachings mit Einzelpersonen, die in ihrem System eine Strahlkraft haben. Aber natürlich, in einem Change-Prozess geht man sehr methodisch strukturiert vor. Natürlich hat man auch immer ein bisschen Blick auf den Prozess, wie läuft das so? Aber es ist zuerst mal ein Managementprozess. Mit einem klaren Plan.
Eher mechanistisch.
Genau, schrittweise könnte man auch sagen. Man schaut, was ist die Ursache, versucht irgendwie die Wirkung zu analysieren und macht dann einen Plan und geht mit allen Management-Instrumenten, die man hat, planvoll vor, mit allen Kontrollmechanismen. Wenn ich einen Transformationsprozess nehme, dann würde ich sagen: Da genügt es nicht nur gute, scharfe Managementtools anzusetzen, sondern da schaue ich eher auf die Träger der Kultur. Und das sind die Menschen. Wenn ich davon ausgehe, dass zuerst mal eine Transformation eine innere Wandlung ist, dann muss ich schauen: Wie kann ich mit den Menschen anders in Beziehung und Interaktion treten, die eben zuerst mal nicht, sie sagten mechanisch, ich würde auch sagen nicht nach einem kausalen, linearen Prinzip von Ursache-Wirkung basiert, sondern die Menschen zuerst einmal, wieder ein alter pädagogischer Begriff, in die Begegnung hineinbringen. Begegnung mit sich im doppelten Sinne, mit sich selbst und mit der Gruppe. Und da entsteht, das wissen wir ja alle, erst so was wie ein schöpferisches Potenzial, was wir Kreativität nennen.
Für anstehende Fragestellungen brauchen wir nicht immer nur gute Muster wie im Change-Management, sondern wir brauchen für Transformation eigentlich das höchste Potenzial an schöpferischer Kraft und das nennen wir Kreativität. Da ist die Innovationskraft dran. Und die kriegen wir nur durch den Faktor Lebendigkeit. Und das spürt jeder: Ob wir eine Kultur haben, in der ich im Grunde durchhalte, einschlafe und Konditionen entwickeln, dass ich dadurch gut abarbeiten kann. Oder ob es mich fast reinzieht, weil ich merke, wenn ich was rein gebe, dann werde ich nicht leer, sondern da ist so viel Lebendigkeit, dass ich eigentlich erfüllt und trotzdem vielleicht körperlich erschöpft, aber erfüllter nach Hause gehe. Das ist für mich ein Garant, zu sagen: Da ist der Nährboden, da ist eine Kultur für transformative Prozesse. Und natürlich muss man die erzeugen, dafür sind sie auch Menschen verantwortlich.
Jetzt sagten sie gerade Nährboden und tatsächlich, das Bild was bei mir entsteht, ist eines von organischen Prozessen. Das ist ja auch bei Pflanzen so, ich habe einzelne Samenkörner, das sind sozusagen dann die Menschen, in die sie in dem Coaching-Prozess auch investieren, die dort auf fruchtbaren Boden fallen oder diesen Boden vielleicht selber bereiten, da vermischt sich das Bild ein bisschen. Und dann ist es ja ein Wachstumsprozess, der eben nicht linear, aber ausrichtend ist. Ich denke dort auch an Pflanzen, die eben ihr Wachstum nach dem Sonnenstand ausrichten oder wo eben das Sonnenlicht herkommt.
Also das ist ein wunderbares, schönes Bild. Ich würde auch sagen, da ist die Entwicklung der Systemtheorie, wenn man das mal als sozialwissenschaftlichen Konzept nimmt, wirklich von diesen statischen, mechanischen Systemen hin über soziale Systeme, lebendige Systeme, viel stärker in so einen biologischen Aspekt hineingekommen. Über einen Organismus, Ökosysteme. So wird es jetzt in der Literatur mittlerweile ja auch besprochen: Der Weg von einem „Ego-System“ zu einem Ökosystem, was viel mehr mit einem komplexen Netzwerk zu tun hat, das eben nicht mehr steuerbar, planbar und vorhersehbar ist und trotzdem ausgerichtet ist. Diese Ausgerichtetheit ist auf eine Wirkung hin, also Wirkung heißt auf eine Entfaltungskraft. Lebendigkeit möchte immer lebendig bleiben und sich teilen, nicht weil dadurch die Lebendigkeit weniger wird, sondern mehr wird. Das ist ja schon ein Paradox für kausale Prozesse! Und das erleben wir: Neben einem schönen strukturierten Organigramm hierarchischer Struktur sehen wir ja, dass im Grunde genommen die Lebendigkeit eigentlich nicht durch diese funktionale Struktur und Organisationsverständnis abbildbar ist, sondern eigentlich in etwas ganz anderem. Früher hat man gesagt, in den informellen Räumen. Mittlerweile macht man die auf und versucht große crossfunktionale Teams oder Projektteams zusammenzustellen. Da, wo Lebendigkeit entsteht, weil da ist die Schöpferkraft, da ist Wertschöpfung, die in einen Ausdruck hineinfließen will.
Es gibt tatsächlich in der Pädagogik dieses Modell zu sagen: Wir sehen jedes Lebewesen, und da zuerst mal natürlich den Menschen, als ein Samenkorn. Und das Samenkorn hat wie der Mensch auch das ganze Potential zu einem fertigen Leben bereits in sich. Das muss man eben nicht reingeben. Was es braucht, sind gute Rahmenbedingungen, damit dieses Samenkorn anfängt diese Tendenz des Wachstums aus sich heraus zu aktualisieren. Man muss ein Samenkorn nicht aufknacken, es kommt von innen nach außen. Aber es braucht gute Bedingungen. Es weiß ganz genau, wenn es draußen frostig ist, mache ich lieber meine Schale nicht auf. Das ist natürlich eine andere Form von Wissen. Diese Selbstaktualisierungstendenz ist ein Fachbegriff, den wir kennen und der im Moment in lebendigen Systemen zu beobachten ist. Es gibt eine Tendenz des Lebendigen, des schöpferischen, kreativen Potenzials, was strebt und was uns in manchen Augenblicken an die Grenze unseres Fassungsvermögen drängt, weil wir die Kausalität nicht mehr hinkriegen, es nachzuvollziehen, zu kontrollieren, neu aufzusetzen, festzuhalten. Das sind alles Punkte, wo wir ein bisschen wie in einer Krise sind.
Jetzt haben wir fast schon ein Gegenbild gezeichnet: Auf der einen Seite die mechanischen Prozesse, das strukturierte Vorgehen, der strukturierte Change, die strukturierte Weiterentwicklung. Auf der anderen Seite also das Kreative, Schöpferische, das Neuschaffen. Das ist ja ein krasser Gegensatz eigentlich zu dem wie Führung, vielleicht jetzt auch traditionell bisher verstanden wird, eben eher in dem strukturierten Prozess. Ist das jetzt die, grob gesagt Wachablösung? Ist das jetzt das neue Modell und das alte hat keinen Bestand? Oder brauche ich von jedem Typus Führungskräfte? Oder muss ich vielleicht sogar als Führungskraft beides miteinander verbinden können?
Ich glaube, die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen. Für meinen Begriff ist es so, dass die Priorität sich verändert hat. Ich glaube, wir würden unsere Managementtools weiterhin schärfen, optimieren, wenn wir damit Erfolg hätten. Und ich glaube, da wo es Erfolg versprechend ist, wird es auch noch gemacht. Das rühre ich jetzt hier auch gar nicht an. Ich habe aber vorhin gesagt, wir kriegen Phänomene vom Leben serviert, da könnte man den Klimawandel als ein sehr prominentes Thema nehmen, wo wir merken: Da kann ich meine bisherigen Instrumente und Konzepte so gut wie ich nur kann verfeinern, ich komme dem nicht auf die Schliche und es ändert sich nichts. Ich bekomme den Effekt nicht hin, ich verzweifle. Die Verzweiflung ist ja jetzt wieder eine personenbezogene Analyse, im System würde man sagen, wenn eine Krise auftritt. Diese Krise entsteht dadurch, dass ich mit einer guten weiteren Optimierung selber ratlos zurückbleibe. Da würde ich sagen: Okay, haltet mal inne und schaut mal, ob ihr mit eurer Denkweise eigentlich so weiterkommt.
Es kann natürlich sein, dass ich auch gerade die Bereiche anziehe, weil das meine Expertise ist, man ist ja immer ein bisschen betriebsblind. Ich sehe aber, dass die Frage eigentlich in vielen Systemen gestellt wird. Wir haben es auf der politischen Ebene, in den sozialen Systemen, in den Bildungssystemen, in den Finanzsystemen und auch im Wirtschaftssystem. Es wackelt und viele sind mit dem Latein am Ende. Und das ist auch gut so. Das ist der erste Indikator dafür, dass es um Transformation geht. Wenn ich sage, das ist gut so, dann bin ich nicht froh darüber, weil wir alle auch darunter leiden. Aber ich sage, das ist gut, weil es ist ein eindeutiger Indikator, dass möglicherweise eine neue Epoche beginnt.
Und dass es dieser schöpferischen Kraft bedarf, um jetzt einen Schritt nach vorne zu machen?
Ja, also um es mal wieder auf der Personenebene zu sagen: wir werden auf uns selbst zurückgeworfen und müssen unsere Identität und Stellung in der Welt, also nicht nur innerhalb der Familie, sondern man könnte fast sagen in der Welt neu herausfinden. Wer da schnelle Antworten hat, dem bin ich immer sehr skeptisch gegenüber. Wir wissen das Neue noch nicht und das ist eben auch noch ein Merkmal von Transformation. Es gibt eine Orientierung, es gibt eine Ausrichtung. Aber ein transformativen Prozess hat immer so was wie einen Überraschungseffekt, man nennt das ja auch eine Emergenz. Etwas, was nicht vorhersehbar ist und auch nicht planbar ist, sich aber trotzdem ausgedrückt hat und damit müssen wir eben auch umgehen können. Das ist ja das Phänomen an dynamischen, komplexen Systemen. Deswegen bin ich immer vorsichtig mit schnellen und klaren, guten Antworten. Die habe ich auf der Change- und Managementebene, aber auf der transformativen Ebene muss ich mich immer wieder neu einlassen.
Und das ist eine innere Haltungsarbeit: Kann ich mich immer wieder unvoreingenommen, mit der Erkenntnis, die ich hatte, auf das Neue einlassen? Ich habe zuerst einmal wenige Geländer. Und das ist für eine Generation, die wir über Steuerung, Kontrolle, planen, vorhersehen so trainiert und konditioniert haben, sehr schwer. Als Bildungsexperte sage ich immer: In der Erwachsenenbildung, die jetzt ja unsere Zielgruppe ist, ist das Schwierigste für uns das Verlernen. Das Neuland ist super, dass macht jeder gerne, aber sich jetzt bewusst zu machen: Oh, noch mehr vom Gleichen zu lernen bringt nicht den Effekt, den ich mir wünsche. Das Verlernen, also sich unvoreingenommen auf etwas Neues bei vollem Bewusstsein einzulassen, ist ja genau das, was wir Jahrzehnte versucht haben zu vermeiden.
Weil ja auch Werte dranhängen. Wir haben ja in unsere bisherige Bildung, Erfahrung investiert. Und das aufzugeben ist natürlich schmerzhaft.
Ganz genau, gerade in Europa, dem Sitz der Aufklärung. Ja, aber es ist nicht, das eine gegen das andere auszuspielen, sondern es ist die Mitte: Das Spannungsfeld von Sowohl als Auch. Ich brauch Planung, ich muss aber wissen, dass diese Planung im Grunde eine Vorläufigkeit hat. Gleichzeitig muss ich mich aber auch immer wieder öffnen für die Möglichkeiten, das Potenzial: Es könnte auch ganz anders sein. Und da könnte man sagen, da wird man ja verrückt dazwischen, da kommen wir mit unseren Steuerungslogiken nicht mehr hin. Wie machen Sie damit einen Wirtschaftsplan? Also ich würde es nicht gegeneinander ausspielen, sondern ich würde sagen, wir sind aufgerufen, sehr dialektisch das Sowohl als Auch bei vollem Bewusstsein zu leben und das ist die Transformation. Wir brauchen ein Bewusstsein, dass wir nicht das eine oder andere sind, auch wenn das immer versucht wird zu polarisieren, sondern dass sich unser Leben genau in diesem Spannungsfeld ereignet. Zwischen geschlossenen Systemen und offenen Systemen, müssen wir handeln und gucken.
Vielen Dank für den Impuls. Diese Dialektik würde ich gerne aufgreifen. Es ist ja einerseits sehr herausfordernd zu merken, das erfordert neue Denkansätze, es erfordert auch Liebgewonnenes über Bord zu werfen, wenn ich mich auf eine Transformation einlasse. Auf der anderen Seite, da sind wir jetzt im Sowohl als Auch: Es gibt ja auch den Aspekt der Hoffnung. Gerade wenn ich merke, ich komme in meinem Kontext mit den bewährten Methoden nicht weiter, finde ich es auch ein schönes Zeichen der Hoffnung, dass diese Lebendigkeit ein Reservoir ist, das wir anzapfen können und für uns nutzen können.
In der Forschung spricht man mittlerweile davon, dass dieses Reservoir, was Sie nennen, die einzige Ressource ist, die unlimitiert ist. Die Kraft des Lebendigen ist eine unlimitierte Ressource.
Das lasse ich einfach mal so stehen.
Da können wir ein bisschen drüber meditieren, genau.
Genau und ich könnte mir vorstellen, es gibt auch Menschen, die sich in Situationen befinden, wo es so nicht sichtbar ist, aber das so einfach mal als Satz wirken zu lassen, ist vielleicht ganz hilfreich.
Ja.
Ich würde das Gespräch gerne noch mit zwei kurzen Fragen beschließen. Die erste wäre: Gibt es eine Fähigkeit aus dem privaten Leben, also nicht als Institutsleiter, sondern als Christoph Röckelein, oder ein Teil der persönlichen Biografie, wo Sie jetzt sagen würden, das ist für meine eigene Führungsarbeit und für mich ein wichtiger Schlüssel geworden?
Ja und den erzähle ich an manchen Stellen auch schon immer mal. Ich glaube deswegen, weil er mir, je älter ich werde, umso wichtiger geworden ist. Es ist ein Erlebnis, das ich eigentlich schon sehr früh hatte. Ich bin in der dörflichen Struktur, in einem Drei-Generationen-Haushalt aufgewachsen. Das heißt, mein Opa und meine Oma haben noch mit im Haus gewohnt. Und mein Opa war lungenkrank, ist viel spazieren gegangen und hat seine Enkel und Enkelinnen auch immer mitgenommen und ich durfte auch viele Wege gehen. Da habe ich gemerkt, er hat wenig gesprochen, weil wenn er sich bewegt hat, brauchte er die Luft zur Bewegung. Dadurch haben wir uns immer irgendwo hingesetzt. Dann habe ich diese Ruhe und die Stille beim Gehen gemerkt: Beim Tun in der Aktion zu sein und zu bleiben. Da habe ich vieles verstanden, da konnte ich vieles verstehen, ihn verstehen und was überhaupt passiert. Das habe ich natürlich als Kind überhaupt nicht reflektiert.
Die Katastrophe ist dann eingetreten, als ich in die Bildungsinstitutionen eingetreten bin: Kindergarten, Grundschule, weiterführenden Schulen und so weiter, bis dahin das ich irgendwann auch noch selber Lehrer geworden bin, dann die Erwachsenenbildung und so weiter. Da habe ich gemerkt: Das Aha-Erlebnis was da entstanden ist, ist: Der Bildungsprozess, das Ausbilden meiner Persönlichkeit geht nicht von außen nach innen. Auch wie schön das ist, wie ich das quasi in allen Bildungsinstitutionen mitbekommen hab, da hat man versucht, das mit mir zu machen. Sondern die stärkste Bildung habe ich erlebt, als es in Ruhe aus mir herauskommen konnte. Im Grunde bin ich in Krisen reingestolpert und diese Krisen haben mich erst zu dieser Geschichte, die ich ganz früh erlebt hab, wieder zurückgebracht. Der eigentliche Bildungsprozess, der uns durchs Leben führt, ist nicht Bildung von außen nach innen, die brauchen wir auch, aber diese ist nicht existenziell, sondern es ist die Bildung von innen nach außen. Für diesen rote Faden in meiner Suche, dann auch in den Studiengängen, habe ich lange gebraucht. Bis ich verstanden habe, dass mir etwas als Kind bewusst geworden ist, was ich irgendwann verloren hatte. Und egal was für ein Schultyp oder eine Bildungsinstitution, diese Prozess von innen nach außen konnten sie mir nicht mehr geben. Deswegen hat der Untertitel meines Instituts eben auch: Bildungsprozesse von innen nach außen ermöglichen. Das ist der Auftrag.
Danke fürs Teilen dieser sehr persönlichen Geschichte. Da schwingt für mich als Musiker auch noch so ein Rhythmus mit: Vom konzentriert im Tun, dann das Hinsetzen, Interaktion, Gespräch, dann wieder konzentriert ins Tun zu gehen.
Ganz genau. Der Rhythmus ist ein ganz wichtiger. So kann ich das heute natürlich aus der Didaktik sagen: jeder Augenblick hat einen eigenen Rhythmus. Schaffe ich es, mich auf diesen Impuls als Puls des Lebens einzulassen, dann bin ich immer kongruent. Das merkt man in jedem Gespräch, nach dem man sagen kann: Wow, war der authentisch. Es gelingt eben nicht immer. Wir haben aber die Fähigkeit als Erwachsene uns auf diesen Rhythmus des Lebens, des Augenblicks einzulassen. Und das finde ich, ist die wertvollste Führungsaufgabe, die auch Leadership vom Management unterscheidet. Management kann uns gute Strukturen und gute Hilfsmittel geben, aber was es nicht kann ist, mich mit meiner ganzen Sinnlichkeit, mit meinem ganzen Leib, mit meiner ganzen Persönlichkeit auf den Rhythmus des Augenblicks einlassen.
Super. Dann vielleicht noch eine eher mechanistische oder methodische Frage: Gibt es ein konkretes Werkzeug? Eine Methode oder ein Buch, was für sie zu einer wichtigen Stütze in der Führungsarbeit geworden ist?
Ja, also vielleicht Buch und Ansatz. Ich bilde ja auch Menschen in dem Ansatz im Coaching aus. Da legen wir Wert auf die Haltung. Und die Haltung kann man tatsächlich ganz toll in der Gesprächsführung üben. Da gibt es ganz schöne Elemente, die eigentlich in jeder Kommunikationstheorie mit drin sind: Dass ein Gespräch erst durch ein tiefes Verstehen entsteht und nicht durch ein kluges Mitteilen. Das würde ich vielleicht auch so als methodischen Ansatz sehen. Ansagen machen noch lange keine Wirkung. Sich verstanden fühlen von einem Gegenüber hat einen Moment der Transformation.
Immer den Feedback Loop quasi einzubauen.
Ja, das ist wieder ein sehr schönes Instrument: immer wieder ein Feedback Loop und dann wird es instrumentell. Der passt aber nicht immer. Es ist zuerst einmal nicht Loop. Den könnte ich mechanisch natürlich gut umsetzen, wiederhole ich wieder, mache ich eine Zusammenfassung. Sondern es ist zuerst mal die innere Haltung, die umschaltet auf: Nicht ich, sondern du kannst mir was geben.
Also nicht zu schauen, was hat meine Intention, meine Kommunikation beim Gegenüber ausgelöst. Sondern erst mal wahrzunehmen, zu schauen: was ist da beim Gegenüber.
Ganz genau und immer wieder, immer wieder. Also ein Reflex, den wir ja alle kennen, ist: Sie sagen was und in mir kommt hoch: Ach, kenne ich. Dann läuft das Gespräch natürlich auch, dann können wir uns darüber Geschichten erzählen. In der Führung ist es aber wichtig, diesen Impuls mitzubekommen und zu sagen: Ach ja, kenne ich und dann zu sagen: Beschäftige ich mich gleich mit, ich bleibe weiter bei Ihnen. Ansonsten bin ich nämlich mit meiner Aufmerksamkeit in meiner Geschichte, reproduziere die Geschichte und schmücke sie mit ihrem, was sie dazulegen können. Nur das ist nicht bewusste Führungsaufgabe, das ist ein Alltagsgespräch. Das ein bisschen mitzubekommen und zu sagen: Ah, da sind zwar ganz viele Reaktionen, die das Auslösen, aber ich bleib noch mal bei Ihnen, ich öffne mich noch. Wer das am schönsten herausgearbeitet hat, ist über die letzten 20-25 Jahre in den Büchern über lernende Organisation, das ist die Grundlage und dann die Fortführung über den Otto Scharmer, Theorie U, ich verdeutsche das jetzt mal, der hat wunderbar gezeigt, wie gelungene Veränderungsprozesse in Unternehmen gehen und woran man das merkt. Der zeigt eben auf, dass man sich zuerst einmal mit allen Sinnen einlassen muss, um überhaupt etwas Neues in die Welt zu bekommen und das ist vielleicht die Literaturempfehlung, …ist vielleicht gar keine Empfehlung mehr, hat bestimmt schon jeder im Regal, also Theorie U würde ich da als eines der Werke nehmen, das sehr anregend ist, immer wieder zu lesen.
Dann ist es jetzt die Empfehlung, das vom Regal zu nehmen, auf den Nachttisch, auf die oberste Stelle des Bücherstapels
Ob das so eine Nacht-/Einschlafliteratur ist weiß ich nicht, aber es gibt auch mittlerweile viele YouTubes darüber.
Vielen Dank für das Gespräch, fand ich sehr anregend, inspirierend, belebend.
Wunderbar, von mir auch ein Dankeschön an Sie und alles Gute.